Der Buhmann will Frieden
Wir dürfen gespannt sein, als welche List und Heimtücke die transatlantischen Putin-Hetzer die überraschende Friedensinitiative des russischen Präsidenten darstellen werden. Putin hatte am Montag überraschend den Abzug des Großteils der russischen Streitkräfte aus Syrien befohlen. Was sind seine Motive?
»Ich betrachte die Ziele, die wir für die Mission in Syrien gesetzt hatten, für zum großen Teil erreicht. Aus diesem Grund befehle ich den Abzug des größten Teils unserer Truppenverbände von dem Territorium der Arabischen Republik Syrien.« Das sagte der russische Präsident am Montagabend. Dank der Beteiligung des russischen Militärs sei es den syrischen Streitkräften gelungen, eine »grundlegende Wende im Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu erreichen und die Initiative in fast jeder Hinsicht zu übernehmen«, sagte Putin weiter.
Laut dem Kreml wurde der Teilabzug mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad abgesprochen. Moskau behält einen Luftwaffenstützpunkt und einen Flugplatz in Syrien, um die Überwachung der Waffenruhe zu unterstützen. Die Stützpunkte werden von Land, See und Luft aus zuverlässig geschützt, sagte Putin bei einem Treffen mit Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Außenamtschef Sergei Lawrow.
Derzeit würden die russischen Flugzeuge auf der Militärbasis Hmeimim in der syrischen Provinz Latakia für die Rückkehr nach Russland vorbereitet, berichtet die Nachrichtenagentur Interfax. Soldaten auf dem Stützpunkt haben demnach mit dem Verstauen von Ausrüstung begonnen.
Syriens Präsident Assad machte deutlich, dass ein Vollabzug der russischen Truppen nicht vorgesehen sei. Die Reduzierung der russischen Truppenstärke entspreche der Situation vor Ort und der andauernden Eindämmung der Kampfhandlungen. Assad würdigte die Zusammenarbeit des syrischen und des russischen Militärs. Diese habe »Siege über den Terrorismus« gebracht und das Land wieder sicher gemacht.
Die Reaktionen des Westens
US-Präsident Barack Obama begrüßte den Schritt in einem Telefonat mit Putin. Auch der UN-Sicherheitsrat wertete den Moskauer Teilrückzug als positiv. »Wenn wir sehen, dass Truppen sich zurückziehen, bedeutet dies, dass der Krieg einen anderen Schritt geht, deshalb ist das gut«, sagte Ismael Gaspar Martins, der angolanische UN-Botschafter und derzeit Präsident des Sicherheitsrats.
Aus dem Weißen Haus verlautete, in dem Telefonat habe Obama Putin gedrängt, die syrische Regierung dazu anzuhalten, von Offensivaktionen abzusehen, die die brüchige Feuerpause untergraben könnten. Dem Kreml zufolge sei das Gespräch »sachbezogen und offen« verlaufen. Putin habe seinen Amtskollegen über seine Abzugspläne informiert und betont, wie wichtig eine Abstimmung zwischen Washington und Moskau sei, »um die Feuerpause zu wahren, die Lieferungen humanitärer Hilfe an belagerte Siedlungen und einen effektiven Kampf gegen Terrorgruppen« zu gewährleisten.
In Genf reagierte die syrische Opposition verhalten. Sie teilte mit, dass sie zunächst abwarten wolle, wie Putin seine Ankündigung konkret umsetzen werde. »Wir müssen die Art dieser Entscheidung und ihre Bedeutung überprüfen«, sagte ein Sprecher des Hohen Verhandlungskomitees (HNC). Falls der Schritt dafür sorge, dass alle russischen Truppen aus Syrien entfernt würden, wäre das positiv. Zugleich mahnte er Putin, seinen Worten Taten folgen zu lassen, indem er »sagt, dass er an der Seite des syrischen Volkes steht, nicht an der Seite der syrischen Diktatur«.
Derzeit verhandeln Mitglieder der syrischen Regierung und Opposition in Genf über einen möglichen Friedensplan. Heute (Dienstag) will der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura mit Vertretern der Opposition zusammenkommen, nachdem er sich zuvor mit der Delegation der Regierung getroffen hat.
Putins Motive
Der russische Präsident will nach eigenen Angaben mit dem überraschenden Truppenabzug den politischen Gesprächen über die Zukunft des Bürgerkriegslandes Schub geben. Er glaubt nicht an eine militärische Lösung, was er aber auch schon immer klar gemacht hat. Und er entzieht dem Assad-Regime, das sich mit der russischen Unterstützung und den militärischen Erfolgen am Boden nicht besonders verhandlungswillig zeigte, das Momentum.
Putin scheint die russische Syrien-Mission in der Tat für beendet zu halten. Er konnte in den wenigen Monaten seit Ende September 2015 zeigen, dass Russland – im Gegensatz zu den USA – in der Lage ist, schnell, entschlossen und effektiv militärisch im Ausland einzugreifen. Er konnte damit auch gegenüber der NATO die militärische Stärke der russischen Armee demonstrieren.
Durch seinen überraschend angekündigten Truppenabzug demonstriert er nun auch noch seine strategische Stärke: Er lässt sich nicht endlos in einen Konflikt hineinziehen, sondern zieht sich ebenso schnell und entschlossen wieder aus ihm zurück, wie er ihn begonnen hat. Der Weltgemeinschaft gegenüber bietet er sich als friedensliebende Macht an, die wirklich eine politische Lösung sucht. Die US-Regierung fordert er heraus, nun endlich gemeinsam an der Lösung des Konflikts zu arbeiten.
Ein wichtiges Motiv für Putins Rückzugsbefehl ist sicher die Türkei – jenes Land, dem er den Abschuss des russischen Kampfflugzeugs nie verzeihen wird. Das Land versinkt derzeit im Chaos zwischen Terroranschlägen und Bürgerkrieg in den kurdischen Landesteilen. Die Ausweitung des türkisch-kurdischen Krieges auf Syrien und den Irak wird von Erdoğan schon lange betrieben. Bisher konnte sich der Despot aus Ankara auch auf die Unterstützung durch die NATO verlassen, denn jenseits der Südostgrenze der Türkei lauerte ja der Todfeind Russland. Wenn sich jetzt die russischen Streitkräfte zurückziehen, dann lässt das transatlantische Bündnis Erdoğan vermutlich im Regen stehen. Für Washington ist Ankara längst zu einem Ärgernis geworden.
Während die Bundeskanzlerin Erdoğan umwirbt, damit er ihre gescheiterte Flüchtlingspolitik zu einem halbwegs glimpflichen Ende bringt, haben die Geostrategen Washingtons die Türkei vermutlich längst abgeschrieben. Die schon lange geplante Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens sieht kleinere Staaten wie Kurdistan vor anstelle der politisch unbequemen großen Nationalstaaten wie den Irak, Syrien und eben auch die Türkei. Und dass bei einem solchen Umbruch immer wieder neue Flüchtlingsströme entstehen, dürfte ebenfalls Teil des Plans sein.
Peter Orzechowski, Kopp online (15.3.2016)