Unipolarität gegen Multipolarität
Alexander Markovics: Sehr geehrter Herr Professor Dugin! Vielen Dank, dass Sie sich zu diesem Gespräch bereit erklärt haben. Der herrschende unipolare Moment und die sich abzeichnende multipolare Welt dominieren zur Zeit das geopolitische Geschehen. Können Sie unseren Lesern bitte den Unterschied zwischen der Unipolarität und der Multipolarität erklären?
Alexander Dugin: Zunächst können wir beide Konzepte auf verschiedenen Ebenen identifizieren. Erstens können wir Unipolarität und Multipolarität auf der Ebene der Ideologie, Zivilisation und Kultur erkennen, zweitens in der Geopolitik und drittens auf der Ebene der militärischen Strategie und der Blöcke. Die Unipolarität wurde also nach dem Fall der Sowjetunion errichtet und auch das bipolare System kann man anhand dieser drei Ebenen interpretieren: Ideologie, Zivilisation, Kapitalismus gegen Sozialismus; Landmacht gegen Seemacht und NATO gegen den Warschauer Pakt.
Alle drei Ebenen sind im bipolaren System vertreten, welches durch das unipolare System ersetzt wurde. Nach 1991 wurde das unipolare System mit einer einzigen Ideologie, bestehend aus der liberalen Demokratie, dem Kapitalismus und der Menschenrechtsideologie errichtet. Dies bezeichnete man als Globalisierung. Diese Projektion der modernen/postmodernen Ideologie des Westens wurde auf den gesamten Planeten umgelegt, ohne jegliche ideologische Alternative, wie sie zuvor von der Sowjetunion angeboten wurde. Das war in jeder Hinsicht des unipolaren Moments. Auf der ersten Ebene handelte es sich um eine Projektion der liberalen Demokratie und Marktwirtschaft, der Ideologie der Menschenrechte, ebenso wie der Genderpolitik, des Posthumanismus, der Technologie und so weiter. Das war die Unipolarität. Auf der Ebene der Geopolitik bedeutet dies die Projektion der Seemacht auf alles, damit alles unterworfen und in das System der dynamisch-materialistischen Werte eingebettet wurde, wie es zum Beispiel von Halfold Mackinder beschrieben wurde. Die Seemacht ist also nicht nur eine militärische Struktur, es handelt sich bei ihr auch um ein ökonomisches System, und die Globalisierung auf der geopolitischen Ebene bedeutete den Triumph der Seemacht und des maritimen Systems der Marktgesellschaft, wie es im berühmten Konzept vom Ende der Geschichte bei Francis Fukuyama dargestellt wurde. Auf der dritten Ebene bedeutete dies die Ausbreitung der NATO, die den einzigen Militärblock und die Zukunft des Globalismus darstellte, der Globalisierung und der Projektion westlicher Militärmacht. Militärbasen der NATO und des Westens waren ein und dasselbe, wurden auf der ganzen Welt errichtet und setzten die Expansion des Westens gegen den Osten auf der militärischen Ebene fort. Das unipolare System wurde also zu einem Zeitpunkt errichtet, als es keinen anderen Pol gab, der sich der Seemacht, der liberalen Demokratie und der militärischen Präsenz der NATO und ihrer Verbündeten im globalen Ausmaß widersetzen konnte. Aber bereits Anfang der 2000er Jahre begann dieses unipolare System zu wackeln und auseinanderzubrechen. Die Symbole seines Niedergangs waren der Angriff auf das World Trade Center, Wladimir Putins Weg zur Macht in Russland und der Wandel der Politik in China. Des Weiteren gab es eine religiöse Herausforderung und einen Terroranschlag gegen den einzigen Pol von Seiten des islamischen politischen Extremismus.
Russland begann auf der geopolitischen Ebene Widerstand zu leisten und besaß noch immer Nuklearwaffen, Putin begann immer mehr auf die Souveränität, die Unabhängigkeit und die Freiheit der Reste des ehemals zweiten Pols zu beharren. China begann seinen Aufstieg und damit seine Souveränität gegenüber dem Westen immer stärker zu betonen und dabei die Chancen der Globalisierung zu nützen, wobei es aber damit anfing, Globalismus und Globalisierung voneinander zu trennen, während es ersteres zurückwies und letzteres zu seinem eigenen Wohl nützte. Das war der Anfang eines neuen multipolaren Systems.
Die Multipolarität stellt eine neue Struktur und ein neues Konzept auf allen drei Ebenen dar.
Zuallererst bedeutet dies den Pluralismus der Zivilisationen, gewissermaßen war dies eine Art Realisierung der Vision Samuel Huntingtons vom Aufeinanderprallen der Zivilisationen.
Es gibt also neue Pole, deren Identität nicht in einer politischen Ideologie, sondern in der Tiefe der Kulturen und der historischen Erfahrung verschiedener Zivilisationen verwurzelt ist. Es gibt also genauso viele Pole, wie es Zivilisationen gibt. Zunächst gab es nur eine, die westliche, nicht universale, moderne Zivilisation; die russische orthodoxe Zivilisation, die viel konservativer ist und mit der chinesischen Zivilisation schließlich zumindest drei, doch dann kam noch die islamische Zivilisation hinzu, die sich versuchte zu formieren, darüber hinaus gibt es im Westen die Möglichkeit einer Trennung zwischen der amerikanischen und europäischen Zivilisation, auch eine lateinamerikanische Zivilisation ist möglich, ebenso eine indische und afrikanische Zivilisation, wobei die indische gewissermaßen unter der Herrschaft Modis1 formiert wurde.
Auf der ideologischen Ebene bedeutete dies den Widerstand gegen das universalistische Muster der liberalistischen Demokratie, die Marktgesellschaft und das moderne/postmoderne System der westlichen Werte. Die Ablehnung war allgemein, die Bekräftigung fiel unterschiedlich aus. Russland stellte sich ihr durch die russischen Konservativen und seine orthodox-kollektivistische Form der russischen Identität entgegen. China widerstand ihr durch seine eigene Souveränität und Identität. Der Islam setzte sich wegen den religiösen Werten des Islams zur Wehr. Viele Europäer leisteten nicht so sehr wegen ihrer Werte Widerstand, sondern aufgrund ihrer wirtschaftlichen Interessen. Aufgrund der Sorge um ihre finanzielle Souveränität streben sie danach, einen eigenen Sonderweg innerhalb des Westens zu gehen. Dies geschieht zwar in geringerem Ausmaß, aber nichtsdestotrotz erkennen wir hier die ideologische Ebene der Zivilisation mit dem Bestehen auf der Möglichkeit, ein unabhängiges zivilisatorisches System der Werte zu erschaffen. Dies bedeutet den Bau einer unabhängigen Kultur und unabhängiger politischer, sozialer und religiöser Systeme, um zum Beispiel die Genderpolitik und den westlichen Universalismus sowie die westliche Demokratie zurückzuweisen. China hat zum Beispiel keine Wahlen und keine sogenannte liberale Demokratie. Russland besitzt sein eigenes Wertesystem, wir lehnen den „Gay Pride“ und die Universalisierung der Homo-Ehe und so weiter ab. Jeder lehnt es auf seine eigene Art ab, aber es handelt sich dabei um eine Ablehnung des unipolaren Systems auf einer ideologischen Ebene. Gleichzeitig fand eine Wiederbekräftigung des Herzlands gegen die Seemacht statt, aber zu diesem Zeitpunkt war damit nicht nur ein Herzland, vertreten durch das russische Zarenreich wie zu Zeiten Mackinders oder die Sowjetunion im bipolaren System gemeint, sondern vielmehr ein verteiltes Herzland, sodass alle Zivilisationen sich aufmachten, ihr eigenes Herzland zu finden, ihre eigene Landmacht, im kontinentalen China, dem kontinentalen Indien, dem kontinentalen Europa mit Merkel als Beispiel für den wirtschaftlichen Sonderweg und Trumps Amerika. Trumps Amerika bestand in der deutlichen Erkennbarmachung des amerikanischen Herzlandes im Zentrum der Seemacht.
Die Globalisten und andere Vertreter der Unipolarität waren aufgrund des Auftauchens dieses inneren Kontinents komplett verblüfft, darob dass dieses Herzland in Nordamerika auftauchte, nicht außerhalb davon. Darin besteht also die geopolitische Bedeutung der Multipolarität. Und dann kam es zur Erschaffung einer Alternative zum militärischen Block der NATO. Zum Beispiel wurde ein Bündnis zwischen Russland und dem Iran geschaffen, eine russisch-türkisch-iranische Allianz in Syrien, gemeinsame Militärmanöver zwischen Russland und China haben stattgefunden und das alles passiert vor dem Hintergrund eines möglichen Auseinanderbrechens der NATO. Dies wurde bereits in den Jahren davor präfiguriert. Das multipolare System ist jedoch noch nicht etabliert, sondern im Aufbau begriffen.
Die Ersetzung der Unipolarität durch die Multipolarität ist ein laufender Prozess.
Und die Unipolaristen wie Globalisten versuchen noch immer, diesen Prozess aufzuhalten und zu unterlaufen, sie beharren auf der alten Agenda und genau darin liegt die Bedeutung des Great Resets. Es handelt sich dabei um den scheinbar letzten Angriff der im Sterben liegenden Unipolarität gegen die Multipolarität. Die Ideen Schwabs auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos und Joe Biden mit seinem Slogan „Build back better“ stellen eine Demonstration des Willens der Globalisten dar, ihre Agenda fortzusetzen. Außerhalb der USA befinden sie sich auf Kriegsfuß mit Putin, Xi Jinping, den Iranern, Erdogan, Orban, Osteuropa und jedem, der der globalistischen Agenda zuwiderläuft, und das gilt auch für die Vertreter der Multipolarität im Inneren der USA wie Trump und die Trumpisten. Diese bestehen auf den amerikanischen Werten und dem politischen System der USA gegen die globalistische Sicht der Zukunft. Genau hier befinden wir uns, in der letzten Phase des Kampfes der im Aufbau befindlichen Multipolarität, und der letzte Gegenangriff der Unipolaristen und Globalisten besteht in diesem betrügerischen, sogenannten Sieg von Joe Biden in den Vereinigten Staaten.
Alexander Markovics: Sie haben bereits von der Dämonisierung der aufkommenden Multipolarität gesprochen. Einige Analysten im Westen sind der Meinung, dass es sich dabei nicht um eine kommende Multi-, sondern eine Bipolarität zwischen dem Westen und China handelt. Sie argumentieren, dass Russland und die islamischen Staaten zu schwach sind, um eine eigene Zivilisation zu formen. Was denken Sie über diese These, dass China den Platz der Sowjetuntion in einer neuen Bipolarität einnehmen wird?
Alexander Dugin: Ich sehe diese Argumentation als sehr schwach an und meine, dass sie nicht mit der Realität übereinstimmt. China ist zweifellos der stärkste Pol, der sich der westlichen Hegemonie entgegenstellt, aber ihm fehlen viele Eigenschaften, um in vollem Ausmaß ein alternativer Pol zum Westen zu werden. China ist militärisch schwach, ihm fehlt eine universale Weltsicht und es mangelt ihm an der Erfahrung, die wir Russen darin haben, der Menschheit ein System universaler Werte vorzuschlagen. Ich zweifle jedoch nicht daran, dass China wirtschaftlich, aber auch zivilisatorisch das beste Beispiel eines Pols darstellt, aber eben nur eines Pols unter vielen. Ohne die anderen Pole könnte es dem Druck der Globalisten nicht standhalten. Also ist China existenziell auf die anderen Pole angewiesen. Und aus diesem Grund bildet China neue Bündnisse erstens mit der islamischen Welt, zweitens den afrikanischen Staaten, drittens mit Lateinamerika, aber unter allen Verbündeten ist Putins Russland mit seinen Nuklearwaffen, seinen riesigen Ressourcen und seiner politischen und geschichtlichen Tradition im Widerstand gegen den Druck des Westens am wichtigsten.
Bei Russland handelt es sich also um ein absolut unabdingbares Element der post-unipolaren Ordnung und es bildet fast einen Pol. Daher betrachte ich Russland und China als zwei bereits fast finalisierte Pole. Russland in militäriKultur. Wir verfügen also bereits über nicht nur zwei, sondern drei abgeschlossene Pole, einen westlichen und zwei anti-westliche Pole. Dabei handelt es sich um keine fast-Bipolarität, sondern bereits um eine Tripolarität. Wir können jedoch die Tripolarität nicht bestätigen, da es eine riesige muslimische Bevölkerung gibt, die aufgrund ideologischer Unterschiede weder in die westliche Sphäre passt, noch dem chinesischen Weg folgen oder gar zur Gänze ins russische Modell integriert werden kann, dass christlich und orthodox ist. Mit dem Islam gibt es bereits einen vierten Pol und die indische Kultur mit 2 Milliarden Menschen und ihrer dynamischen, wirtschaftlich-industriellen Entwicklung wie politischen Bestätigung der Souveränität, kommt es zur Etablierung weiterer Pole. Lateinamerika und Afrika werden sich dieser Entwicklung vielleicht anschließen. Wir haben also viel mehr als zwei Pole und China ist zweifellos die führende Macht, aber ich denke, dass China sich bereits jetzt die Führung in einigen Fragen mit Russland teilt.
Dabei handelt es sich um das großeurasische Projekt zwischen Xi Jinping und Putin, wobei sowohl russische als auch chinesische Führer auf der Notwendigkeit, zu kooperieren bestehen, um die Multipolarität zu etablieren. Eine Bipolarität zwischen Russland und dem Westen oder dem Westen und China können wir uns nicht erlauben, das ist nicht realistisch und erfolgsversprechend im Kampf gegen die Unipolarität, die noch immer die eigentliche Macht darstellt, welche stärker ist als China und Russland – jeder für sich genommen. Also müssen wir diese Multipolarität erreichen, durch die Strategie des Rosinenpickens, ähnlich wie im Zauberer von Oz. Was man nicht allein erreichen kann, schafft man in der Gruppe, die auf der Gelben Straße gemeinsam Richtung Smaragdstadt aufbricht, wobei es jeder Person an etwas mangelt: einem Herz, der Tapferkeit, dem Gehirn, usw. Aber indem sie zusammenarbeiten, können sie erreichen, was sie allein nicht schaffen – darin besteht die Strategie des Rosinenpickens. Russland investiert in militärische Macht, seine großen Ressourcen und sein Territorium, sowie seine historische Erfahrung. China investiert in sein Finanzsystem und seine alte Kultur. Die islamischen Staaten investieren in ihren politischen und religiösen Willen, gegen die Ungläubigen und den Daddschal2 zu kämpfen. Indien investiert in seine kontemplative Zivilisation, die auf innere spirituelle Visionen fokussiert ist. Lateinamerika investiert in die Suche nach einer neuen Identität für seine dynamische Kultur. Afrika investiert in seine Bevölkerung und wachsende Wirtschaft sowie die wiederentdeckten Identitäten innerhalb des Kontinents. Jeder folgt der Strategie des Rosinenpickens, um die Hegemonie des modernen/postmodernen Westens zu beenden. Nicht, weil sie gegen den Westen sind, sondern weil sie die Multipolarität befürworten. Der Westen hat die Möglichkeit, sie zu befürworten, zu verteidigen und seine eigene Identität zu entwickeln, aber nicht als etwas Einzigartiges, da auch er nur ein Teil der Menschheit ist, nicht ihr telos3. Es ist nicht das Schicksal der Menschheit, zum Westen zu werden.
Die Menschheit besteht aus Zivilisationen im Plural – daher bedeutet die Multipolarität eine Vielzahl von teloi.
Teleologische Pluriversalität, ein Pluriversum verschiedener plurizentrischer Visionen des telos als Endziel der Entwicklung. Entweder der Westen akzeptiert die plurizentrische Teleologie oder jeder außerhalb des Westens wird den Westen zerstören. Dabei handelt es sich nicht um einen Krieg gegen den Westen, sondern um einen Krieg gegen die Globalisten. Die Multipolarität ist eine Art neue geopolitische, kulturelle und militärisch-strategische Idee. Sie ist zuallererst eine Idee und daher kann es auch Träger dieser Idee im Westen geben, die die globalistische Agenda und damit den Great Reset ablehnen. Genau wie die Diktatur des linksextremen Liberalismus, die heute von einer neuen Art des Totalitarismus vertreten wird, der durch den Dreiklang von Big Data, Big Tech und Big Finance ausgeübt wird. Es gibt auch viele Tendenzen innerhalb des Westens, die sie ablehnen und auf die wir zählen können. Sie sind also Vertreter des multipolaren Westens, denn der Westen kann sehr einflussreich, vielleicht sogar zum führenden Pol innerhalb einer multipolaren Struktur werden, aber eben einer multipolaren Struktur. Joe Biden, Kamala Harris und die neue amerikanische Regierung spielen hingegen die Rolle der einzigen Zivilisation, die sich ohne Unterschied der ganzen Menschheit aufzwingen will. Sie sind Kriminelle. Sie müssen abgeurteilt und zerstört werden. Nicht Amerika, sondern diese betrügerische Gruppe von Usurpatoren der Macht der schönen und großartigen amerikanischen Nation. Sie haben die amerikanischen Wahlen manipuliert und Amerika gekapert, also müssen sie dafür zahlen.
Alexander Markovics: Von einem westlichen Gesichtspunkt aus ist die Erwähnung der islamischen Zivilisation als einem Pol der multipolaren Welt sehr interessant. Insbesondere in den populistischen Parteien haben die Menschen eine seltsame Wahrnehmung des Islams als monolithischen Block ohne innere Unterschiede. Können Sie bitte die Unterschiede innerhalb der islamischen Zivilisation ausführen?
Alexander Dugin: Ich denke, dass die allgemeine Wahrnehmung des Islams im Westen komplett falsch ist, weil es sich bei diesem um keine einheitliche Zivilisation handelt. Es gibt gemeinsame Prinzipien für alle Muslime, aber der Islam ist eine ausgesprochen multipolare Zivilisation für sich. Es gibt einen Schia4-Pol, der sich stark gegen die radikalen Sunniten richtet, und die Schiiten erkennen die Zweitgrößte religiöse Strömung innerhalb des Islam, die etwa 13% aller Muslime umfasst. Das Zentrum des Schiismus liegt im heutigen Iran. Radikale Sunna5 in Form des Wahabismus6 und Salafismus zum Beispiel gar nicht als Islam an und nennen sie Takfiris7, die den Glauben verraten haben. Und die Salafisten und anderen radikalen Sunniten antworten gleichsam und erkennen die Shia nicht als Teil des Islams an. Es gibt also einen tiefen Graben innerhalb der islamischen Zivilisation. Es gibt viele verschiedene Pole innerhalb dieser Zivilisation. Der Hauptpol des Schiitentums ist offensichtlich der Iran und der mächtigste Pol des sunnitischen Islams ist die Türkei, verdoppelt durch die Identität und den Imperialismus osmanischen Stils. Sie ist nicht die einzige Version des Islams, aber eine von vielen. Es gibt auch eine saudi-arabische Version des Islams, die auch die Golfstaaten umfasst und eine komplett andere Version des Islams darstellt. Dann gibt es einen ägyptischen Islam, der sich vom saudischen und türkischen Islam unterscheidet, ebenso wie einen maghrebinischen, pakistanischen und indonesischen Islam, und es gibt sogar eine große Anzahl von Muslimen in Indien. Also haben wir es mit einer Vielzahl der Pole innerhalb des Islams zu tun, und manchmal sind sie so verschieden, dass sie eher zu anderen Zivilisationen gehören. Zum Beispiel gibt es einen eurasischen Islam in Russland, der ein integraler Teil unserer Identität ist, und es gibt einige muslimische Gruppen in China, die keine Uiguren sind, die komplett anders sowie perfekt integriert in die chinesische Gesellschaft sind. Ebenso gibt es einen indischen Islam, der ein Teil der indischen Zivilisation ist. Die Struktur des Islams ist ausgesprochen differenziert. Diese karikaturhafte Darstellung des Islams als etwas Totales und Einzigartiges, das darauf aus ist, die westliche Zivilisation zu zerstören und von ISIS (verbotten in Russland) sowie anderen extremistisch-salafistischen Gruppen vertreten wird, ist komplett falsch, beruht aber auf einer gewissen Realität. Zuallererst handelt es sich bei ihr um ein Bild, das von den Globalisten angestrebt wird. Sie versuchen den Islam in den Feind innerhalb des Westens zu verwandeln, um gegen den Islam kämpfen zu können. Dieser wurde von Francis Fukuyama „Islamofaschismus“ genannt. Es ist eine komplett falsche und verrückte Bezeichnung, aber auch ein Werkzeug der Globalisten, um den Westen gegen einen imaginierten Feind zu vereinen. Und bei ihm handelt es sich um jemanden, der nicht existiert. Es gibt ein wirkliches Problem mit den salafistischen Gruppen im Islam, die als Werkzeuge in der Geopolitik der CIA und der Vereinigten Staaten von Amerika während des Kalten Krieges verwendet wurden. Sie wurden gegen pro-sowjetische Tendenzen in der islamischen Welt eingesetzt und stehen noch immer unter ihrer Kontrolle. Des Weiteren werden sie dazu verwendet zu provozieren und Terrorattentate durchzuführen, um Resultate im Sinne von Beschlüssen politischer und wirtschaftlicher Natur in westlichen Gesellschaften oder anderswo zu erzielen. Zum Beispiel unterstützten während des Tschetschenienkriegs die USA und die CIA diese Salafisten und radikal islamischen Gruppen gegen Putin, sie stellten sie als Helden dar. Aber als sie die Vereinigten Staaten angriffen, wurden sie als Terroristen und Teufel dargestellt. Das ist also ein System der doppelten Standards, das wir in unsere Betrachtungen miteinbeziehen sollten. Ebenfalls kommt es zu einem natürlichen Prozess, in dem die Muslime, die versuchen in den USA oder Europa zu leben, ihre Identität verlieren. Sie sind verloren, weil sie die Bande zu ihren Kulturen und Gesellschaften abgeschnitten haben. Sie wurden in die komplett pervertierte und degenerierte westliche Zivilisation integriert. Sie verlieren ihe Identität und werden in eine Art Zwischenwesen verwandelt, in Monster. Sie sind keine Muslime mehr, aber auch keine Westler, sondern etwas dazwischen. Dabei nehmen sie einen pervertierten, künstlichen Islam an, der kein traditioneller Islam ist, aber auch nicht die westliche Kultur, sondern etwas dazwischen. Es ist eine Art der Verwendung – die Verwendung der Öffentlichkeit, eine kommerzielle Form der Bewerbung einer Art Simulacrum8 des Islams. Dieses Simulacrum stellt eine Art Degeneration des Islams außerhalb seiner natürlichen Grenzen dar. Aber wir sollten nicht die islamischen Einwanderer dafür anklagen, sondern das liberale System. Die Globalisierung, die diese armen Muslime hierher in die westliche Hölle verpflanzt, wo sie ihre Identität verlieren. Wir müssen sie dazu einladen, in ihr muslimisches Vaterland zurückzukehren, um dort zu blühen und zu gedeihen sowie ihre eigene Zivilisation und Gesellschaft zu bauen. Nicht etwa, weil sie schlecht oder böse wären, sondern weil sie schlecht werden, wenn man sie in die dekadente Gesellschaft des Westens verpflanzt. Wir müssen sie retten und nicht uns vor ihnen retten. Aber wenn diese Rückkehr zu den Wurzeln angenommen wird, werden wir auch dazu verpflichtet sein, die Rückkehr zu den eigenen Wurzeln in den westlichen Gesellschaften zu propagieren. Wir müssen nicht die Westler von den Muslimen befreien, sondern wir müssen beide befreien und wir müssen uns gegenseitig von den Globalisten befreien. Lasst uns uns vom Globalismus befreien, vom Liberalismus, von Joe Biden, von Kamala Harris, von der demokratischen Partei, von Facebook, von Google, von Twitter, von Instagram, von Tiktok, von der WHO und allen Globalisten und globalistischen Herrschern! Wir müssen sie überwinden und die globale Finanz- und Politelite zerstören. Muslime und Europäer, die echten Europäer mit Wurzeln und Identität, müssen zusammen gegen den gemeinsamen Feind kämpfen, und danach werden wir eine ausgeglichene und friedliche Welt ohne die Hegemonie der Seemacht.
Alexander Markovics: Vielen Dank für das Gespräch!
Bemerkungen
1. Narendra Modi herrscht seit 2014 über Indien. In seine Amtszeit fällt der Beitritt der „größten Demokratie der Welt“ zur Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit und ein scharfes Vorgehen gegen Masseneinwanderung. Liberale Kritiker werfen ihm vor, Indien in einen hinduistischen Gottesstaat verwandeln zu wollen und sich damit vom säkularen Erbe aus der Zeit der britischen Kronkolonie zu distanzieren.
2. Unter dem Daddschal versteht man einen falschen Messias im Islam. In der islamischen Eschatologie soll er vor dem Tag der Auferstehung erscheinen, die Menschen in die Irre führen und wird schließlich von Jesus getötet werden. Er ist vergleichbar mit dem Anti-Christen im Christentum.
3. Altgriechisches Wort für Ziel. In der Philosophie und der Rhetorik bezeichnet man damit das Ziel oder den Endzweck. Die davon abgeleitete Teleologie ist eine Lehre, die beschreibt, dass Handlungen und Entwicklungsprozesse zielgerichtet ablaufen. Aristoteles machte in seiner Physik den unbewegten Beweger zum Ziel aller Wesen und beeinflusste damit wesentlich die Kosmologie des traditionellen Europa.
4. Zweitgrößte religiöse Strömung innerhalb des Islam, die etwa 13% aller Muslime umfasst. Das Zentrum des Schiismus liegt im heutigen Iran.
5. Größte Glaubensgruppe im Islam. Bezeichnung wird vom arabischen Wort Sunna für Brauch, Tradition abgeleitet. Ihre Anhänger werden oft als Kollektiv der Schia gegenübergestellt, jedoch gibt es auch innerhalb der Sunniten mehrere Lehrrichtungen in Bezug auf Normenlehre und Dogmatik.
6. Unter dem Wahabismus versteht man eine moderne, puristische Richtung des sunnitischen Islams, die von Ibn Abd al-Wahhab gegründet wurde. Der Wahhabismus hat sein Zentrum in Saudi-Arabien. Die Wahhabiten bezeichnen sich selbst als Salafis (von Salafismus). Die Terrornetzwerke ISIS und Al-Kaida gelten als bekannte Vertreter dieser Strömung des Islams. Diese Organisationen sind in Russland verboten.
7. Unter Takfir versteht man die islamische Rechtspraxis, einen Muslim der Apostasie zu bezichtigen und ihn zum Ungläubigen zu erklären. Das entsprechende Fatwa wird von einem islamischen Gelehrten oder Gericht ausgesprochen. Ähnlich der Exkommunikation können ihre Folgen von sozialer Ausgrenzung bis zum Tod reichen.
8. Ein Zerrbild eines wirklichen oder vorgestellten Dinges. Ursprünglich auf den atomistischen Philosophen Lukrez zurückgehend, wurde von der postmodernen Medientheorie aufgegriffen, um virtuelle Scheinwelten zu beschreiben, die die Unterscheidung zwischen Original und Kopie, Realität und Abbild verunmöglichen. Die Filmreihe „The Matrix“ (1999) ist die bekannteste Bearbeitung der Idee von der Welt als Simulacrum.