Slowakei: Politiker in Uniform
Nicht in schwarzer Uniform, sondern im feinen dunklen Anzug stellte sich Marian Kotleba am Tag nach der slowakischen Parlamentswahl im Fernsehstudio den Fragen der Journalisten des Senders TA3. Seinen Erfolg, der so viele überrascht habe, habe er erwartet, sagte Kotleba. Schließlich hätten die Slowaken gesehen, wie gut er als Gouverneur den Bezirk Bánska Bystrica (Neusohl) verwaltet habe.
Höflich, sachlich und ganz ohne polemische Tiraden präsentierte sich der Führer der rechtsextremen „Volkspartei - Unsere Slowakei“ (LS-NS), für die acht Prozent der Wähler gestimmt haben, dem Fernsehpublikum als besonnener Politiker, dem die traditionellen Werte der Religion, der Nation und der Familie am Herzen lägen.
Am Montag demonstrierten in Preßburg (Bratislava) und Bánska Bystrica Tausende gegen Kotlebas Partei. „Wir wollen nicht, dass sich die Geschichte wiederholt“, sagte eine Sprecherin der Initiative „Stoppt den Faschismus“. Die LS-NS wehrt sich zwar gegen den Vorwurf des Rechtsextremismus und des Neofaschismus, widerlegen aber kann sie ihn nicht. In der Slowakei kennt man den 39 Jahre alten Sportlehrer, der in seiner Heimatstadt Bánska Bystrica Pädagogik und Ökonomie studierte, nämlich ganz anders, als er sich jetzt gerne zeigt. 2003 gründete er die „Slowakische Gemeinschaft“, die ihn zu ihrem „Führer“ erhob.
Die Parteimitglieder ließen sich schwarze Uniformen nach dem Vorbild der faschistischen Hlinka-Garde schneidern und begrüßten sich wie die Gardisten mit „Na stráž!“ (Auf Wache!). In dem von dem katholischen Priester Jozef Tiso regierten slowakischen Marionettenstaat Hitlers, der 1939 nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei gegründet wurde, war die Hlinka-Garde die radikalste Kraft. Sie betrieb die Deportation der slowakischen Juden, wurde nach der Niederschlagung des slowakischen Nationalaufstandes 1944 in die SS eingegliedert und beteiligte sich an zahlreichen Kriegsverbrechen.
Kotleba wurde angezeigt, als er im März 2009 in Preßburg (Bratislava) bei einer Kundgebung zum 70. Jahrestag der Gründung des Tiso-Staates die Menge mit „Na stráž!“ begrüßte. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen ihn ein, weil sie in der Geste kein Bekenntnis zu dem klerikal-faschistischen Regime erkennen wollte. Die „Slowakische Gemeinschaft“ jedoch wurde vom Obersten Gerichtshof verboten.
Einzige Alternative zum „kriminellen ,demokratischen‘ System“
Um die aufwendige Registrierung einer neuen Partei bei der Wahlbehörde zu umgehen, infiltrierten Kotleba und seine Anhänger die „Partei der Weinfreunde“, änderten ihren Namen in „Volkspartei - Unsere Slowakei“ (LS-NS) und traten mit ihr 2010 und 2012 zu den Parlamentswahlen an. Beide Male blieb ihr Anteil weiter unter der Sperrklausel von fünf Prozent der Wählerstimmen.
In ihrem Programm definiert sich LS-NS als „die einzige reale Alternative und Opposition zu dem korrupten und kriminellen ,demokratischen‘ System“ und den Parteien, die sich „an den Schätzen unseres Landes“ bereicherten und den Ausverkauf der Nation betrieben. Sie will die Traditionen des Tiso-Staates von 1939 bis 1944 fortsetzen, plädiert für den Austritt aus der EU und aus der Nato sowie für die Neutralität, damit sich die Slowakei nicht „an der verbrecherischen Politik der Nato, der Vereinigten Staaten und Israels“ beteiligen müsse.
Die Neofaschisten wollen eine wirtschaftlich autarke Slowakei, um sie vor der „Schuldknechtschaft“ durch ausländische Banken und Finanzinstitutionen zu schützen. Die Verteidigung der Nation vor dem Einfluss der „Ausländer, Immigranten und ethnischen Minderheiten“ gehört zu ihren Prioritäten. Mit besonderer Vorliebe hetzt Kotleba gegen die Roma, denen er pauschal „Zigeunerkriminalität“ und „Parasitentum“ unterstellt, nicht nur in der Slowakei, sondern auch in der Tschechischen Republik, wo er an den Anti-Roma-Märschen tschechischer Rechtsextremisten teilnahm.
Bewunderung für Präsident Putin
Mit Tomáš Vanda, dem Führer der tschechischen „Arbeiterpartei“, ist er seit langem befreundet. Die Hetze gegen die Roma verbindet seine Partei auch mit der rechtsextremen Jobbik in Ungarn. Ähnlich wie Jobbik will auch die LS-NS eine bewaffnete Heimwehr aufstellen, um „Leben und Eigentum“ der Slowaken zu schützen.
Und noch etwas haben slowakische, tschechische und ungarische Rechtsextremisten gemeinsam: ihre Bewunderung für den russischen Präsidenten Putin. Im Januar 2014 richtete Kotleba einen offenen Brief an Viktor Janukowitsch, damals noch Präsident der Ukraine, in dem er ihn aufforderte, die Demonstrationen auf dem Majdan zu zerschlagen, die von der EU und der „terroristischen Nato“ inszeniert worden seien. Er warnte ihn vor dem Beitritt zur EU, weil dies zur „totalen Versklavung“ der Ukrainer und dem Ausverkauf ihres Landes an ausländische Investoren führen würde, was in der Slowakei bereits der Fall sei.
Kein Meinungsforschungsinstitut hatte vorausgesehen, dass eine solche Partei den Einzug in den Slowakischen Nationalrat schaffen würde. Tatsächlich erhielt sie acht Prozent der Stimmen und 14 der 150 Mandate. Es war zwar allgemein erwartet worden, dass die rechtsradikale Slowakische Nationalpartei (SNS) nach dem Ausscheiden ihres früheren Vorsitzenden Ján Slota, eines notorischen Hetzers und Trunkenbolds, und der Etablierung einer etwas gemäßigteren Führung die Rückkehr ins Parlament schaffen würde. Aber mit der unvergleichlich radikaleren LS-NS hatte niemand gerechnet.
Schon bei Regionalwahlen sorgte Kotleba für eine Überraschung
Dabei war es nicht das erste Mal, dass Kotleba für eine Überraschung sorgte. Bei den Regionalwahlen im Herbst 2013 hatte er sich in der Stichwahl mit 55 Prozent der Stimmen gegen den sozialdemokratischen Gouverneur von Bánska Bystrica durchgesetzt. Den Erfolg führten die Kommentatoren damals auf die feindliche Stimmung gegenüber den Roma in der von Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit geprägten Bergbauregion zurück. Jetzt stellte sich heraus, dass das Phänomen des erstarkenden Rechtsextremismus keine regionale Besonderheit ist.
Die slowakischen Parteien haben sich nie unzweideutig vom Tiso-Regime distanziert. Ähnlich wie viele Kroaten, denen die Distanzierung vom faschistischen Ustaša-Regime schwerfällt, sehen viele Slowaken in Tisos Regime vor allem die Erfüllung des alten Traums von einem eigenen Nationalstaat. Die Tragik, dass sich dieser Traum unter faschistischen Vorzeichen realisierte, belastet die politischen Verhältnisse in beiden Ländern bis heute. Nicht nur die nationalistische SNS, sondern auch die linkspopulistischen Ministerpräsidenten Vladimír Mečiar und Robert Fico nahmen stets eine ambivalente Haltung zur faschistischen Vergangenheit des Landes ein. Indirekt haben damit auch sie Kotlebas Erfolgen den Boden bereitet.
Karl-Peter Schwarz (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.3.2016)