EURASIEN FÜR DIE POSTMODERNE

12.01.2016

Wenn ein russischer Großraum-​Philosoph, ein deutscher Marxist und ein ehemaliger NATO-​General gemeinsam kontrovers diskutieren, ist das für alle ein Gewinn.

Bei der IX. Bielefelder Ideenwerkstatt wurde am vergangenen Wochenende lebhaft über „Deutsche Geopolitik im Zeichen neuer Mächte“ diskutiert. Die mit Aleksandr Dugin, Brigadegeneral a.D. Dieter Farwick und Peter Feist hochkarätig besetzte Runde analysierte die Chancen und Risiken der zukünftigen Außen– und Sicherheitspolitik.

Vor der Diskussion vermittelten fünf Vorträge den fast 100 Teilnehmern ein breites Faktenwissen. So sprach der anerkannte Bevölkerungsforscher Prof. Dr. Gunnar Heinsohn über Kriegsdemographie. Die Demographie sei eine wesentliche Größe bei Kriegen und Konflikten. Wer seine Interessen militärisch durchsetzen wolle, brauche „Personal zum Töten“, so Heinsohn. Und nur wer über einen Überschuss an jungen Männern verfüge, könne sich ein „Sterben aus der demographischen Porto-​Kasse“ leisten. Über diesen Überschuss verfügt Afrika: Rund 700 Millionen Afrikaner wollen sich laut dem Bevölkerungswissenschaftler demnächst auf den Weg nach Europa machen. So stünden Europa neue Konflikte und wohl möglich neue Grenzziehungen bevor. Als Beispiel nannte er eine neue skandinavische „Kalmarer Union“ oder den Zusammenschluß zu einer Alpenfestung.

Die aktuelle geopolitische Lage Deutschlands zeigte Dieter Farwick auf. Zwar sei Deutschland eine starke Wirtschaftsmacht. Darum trete die Bundesrepublik außenpolitisch jedoch nur als Zahlmeister auf. Interessendurchsetzung mittels militärischen Komponenten könnten auf Grund von Kürzungen bei der Bundeswehr nicht erfolgen, so der ehemalige Brigadegeneral. Zudem nehme die Bedeutung Europas gegenüber aufstrebenden Mächten wie China und Indien weiter ab. In der internationalen Sicherheitspolitik führe dies aber zu mehr Unsicherheiten: Konflikte im Pazifikraum seien nicht ausgeschlossen. Die Weltmacht USA wird sich aus finanziellen Gründen nicht mehr überall militärisch einmischen können und wollen. Um auch in Zukunft handlungsfähig zu bleiben, fehle es der deutschen Politik an langfristigen gesamtgesellschaftlichen Konzepten, die jetzt auf den Weg gebracht werden müßten.

Die theoretischen Grundlagen vermittelten Peter Feist und Aleksandr Dugin. Feist studierte an der Humboldt-​Universität in Berlin Philosophie. Der Neffe von Margot Honecker referierte zu der Frage „Wie wird Deutschland wieder souverän?“. Für den Marxisten gibt es nur eine Souveränität – die Volkssouveränität. „Wir alle sind die Staatsgewalt!“, rief er seinen Zuhörern zu. Die Hoffnung bei der Deutschen Einheit sei, besonders in den neuen Bundesländern, gewesen, mehr Souveränität zu erreichen. Doch das Volk werde zu wichtigen politischen Entscheidungen wie zum Beispiel der Euro-​Einführung sowie der EU-​Verfassung gar nicht erst gefragt.

Feist nimmt kein Blatt vor den Mund: „Das ist Verrat am deutschen Volk und Bruch des Völkerrechts durch die Politiker!“ Doch wie könnte man Souveränität zurückgewinnen? Dazu bräuchte es selbstbestimmte Individuen. Dabei verwies er auch auf das alte germanische Volksrecht, das es jedem freien Mann zustehe, Waffen tragen zu dürfen. „Doch wir sind fremdbestimmt von oben“, so Feist, „immer mehr Politikfelder werden tabuisiert.“ Man müsse endlich vom Schuldbekenntnis wegkommen und einen positiven Bezug zur Nation gewinnen sowie einen Wechsel der Blickrichtung gen Russland als neuen Partner.

Dieser These konnte sich Aleksandr Dugin anschließen. Der Professor an der staatlichen Universität Moskau stellte auf dem Haus der Burschenschaft seine „Vierte Politische Theorie“ vor. Die drei politischen Theorien Liberalismus, Kommunismus und Faschismus hätten sich im letzten Jahrhundert einen harten Kampf um die Vorherschafft geliefert, bei dem der Liberalismus die anderen beiden Systeme geschlagen und vernichtet habe.

Daher bedürfe es einer neuen, einer vierten politischen Theorie, die sich gegen den Liberalismus stelle. Diese könne jedoch nicht bloß aus einer Fusion der beiden anderen Konzepte Kommunismus und Faschismus zum Nationalbolschewismus bestehen, sondern müsse einen neuen, anti-​liberalen und anti-​kapitalistischen, aber auch anti-​sozialistischen und anti-​nationalistischen Geist hervorbringen. Eine Rückkehr in die Vor-​Moderne sei ausgeschlossen, so Dugin. Es gelte die Postmoderne zu gestalten. Putins Russland sei auf einem guten Weg, jedoch alleine zu klein in einer multipolaren Welt. Daher bedürfe es eines Bündnisses mit Europa, eine „Eurasische Union“ können weltpolitisch ein einflußreicher Pol werden.

Die IX. Bielefelder Ideenwerkstatt bot zum wiederholten Male eine Plattform für den regen Austausch von Referenten und jungen wie älteren Teilnehmern. Solch eine Veranstaltung, bei der Experten aus verschiedenen Themenbereichen und mit unterschiedlichen Sichtweisen gemeinsam diskutieren, findet man von konservativer oder rechter Seite viel zu selten.