Deutsche Politik ist vom Selbsthass geprägt

04.10.2021
Die am Sonntag stattgefundene Bundestagswahl setzt einen Schlussstrich unter die Ära Angela Merkel. Der russische Philosoph Alexander Dugin kommentiert in einem exklusiven Interview mit RT DE das Wahlergebnis und dessen Folgen für das russisch-deutsche Verhältnis.

Nach der am Sonntag stattgefundenen Bundestagswahl hat RT DE mit dem russischen Philosophen, Politologen und Soziologen Alexander Dugin gesprochen. In einem exklusiven Interview mit dem Sender kommentierte der 59-Jährige das Wahlergebnis und dessen Folgen für die deutsch-russischen Beziehungen. Der Politologe bezeichnete die vergangene Bundestagswahl als ungewöhnlich. Dabei wies er auf die "kolossale" Niederlage von CDU und der CSU hin. Das Ergebnis bedeute einen Schlag gegen die Rechtsmitte und die Rechtsliberalen, mit denen Russland gute Beziehungen gehabt habe. Gleichzeitig erinnerte Dugin daran, dass das bilaterale Verhältnis während der Kanzlerschaft des SPD-Politikers Gerhard Schröder noch besser gewesen war.

"Die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland haben eine viel tiefere Dimension und gehen über diese oder jene Regierungskoalition hinaus."

Dugin zufolge könnte lediglich etwas Außerordentliches, wie zum Beispiel ein Sieg der Grünen, den viele prophezeit hatten, dieses Verhältnis radikal verschlechtern. Der Politologe bezeichnete Annalena Baerbock als Vertreterin der Bewegung des US-Investors George Soros und warf ihrer Partei vor, viel eher globalistisch als grün zu sein. Dugin wies unter anderem darauf hin, dass sich die Grünen gegen die Gaspipeline Nord Stream 2 ausgesprochen hatten.

"Die Sozialdemokraten, die nun gewonnen haben, und die CDU/CSU stellen für Russland eine Fortsetzung des Status quo dar."

In seinem Gespräch mit RT DE teilte der Philosoph mit, dass die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland trotzdem alles andere als wunderbar seien. Als Grund dafür führte er die Abhängigkeit der deutschen Außenpolitik von der US-Regierung an, obwohl das Land wirtschaftlich sehr stark sei und mit Russland sympathisiere.

"Deutschland befindet sich in der völligen Abhängigkeit von der US-Politik. Es ist kein souveräner Staat. <…> In dieser Hinsicht ist es bis jetzt gewissermaßen ein besetztes Territorium."

Dugin bezeichnete die US-Militärpräsenz in Deutschland trotz des sowjetischen Truppenabzugs als eine Fortsetzung der Nachkriegsbesatzung. Obwohl Deutschland versuche, seine wirtschaftlichen Interessen zu verteidigen, gelinge ihm das nur teilweise. Der Denker teilte unter Berufung auf mehrere Kollegen mit, dass das Land vor einer turbulenten Periode mit einer möglichen politischen und sozialen Krise stehe. Es hätten sich zu viele Widersprüche angehäuft.

"Die Deutschen sind in der Tat sehr chaotisch. All ihre Ordnung rührt daher, dass sie das wissen und eine furchtbare Angst vor diesem Chaos haben."

Der Politologe kommentierte auch das Schicksal des sogenannten europäischen Kontinentalismus unter Angela Merkel als Bundeskanzlerin. Dugin betonte, dass die Positionen des Kontinentalismus unter Schröder stärker gewesen waren. Vor dem Hintergrund des Irakkriegs im Jahr 2003 habe sich die Achse Paris-Berlin-Moskau abgezeichnet, die aber später von den sogenannten Atlantikern zerstört worden sei. Unter Merkel habe der Kontinentalismus ein paar Schritte rückwärts gemacht. Obwohl die Bundeskanzlerin versucht habe, gewisse Strömungen zu glätten, sei sie im Fahrwasser des US-Atlantizismus und eine "gefügige" Politikerin gewesen. Kontinentalismus-Tendenzen gebe es dagegen bei der SPD, der Linken und der AfD.

Dugin erklärte außerdem den Stimmenverlust der AfD, obwohl er selbst zuvor einen Aufschwung der Partei vorhergesagt hatte. Die AfD fordere den Konsens der liberalen prowestlichen Eliten heraus, dabei wandere sie auf einem schmalen Grat, indem man ihr Extremismus vorwerfe. Jedoch sei die AfD durch und durch spießig.

"Dem deutschen Spießbürger reißt einfach mitunter der Geduldsfaden. Deswegen muss er seine Anschauungen viel härter formulieren, und deswegen stimmt er für die AfD."

Diese Partei habe jedoch zu bröckeln begonnen und es nicht geschafft, ein plausibles ideologisches Modell zu finden. Sie habe ihre Chance nicht genutzt und wegen der inneren Streitigkeiten an Stimmen verloren. Dugin äußerte zugleich die Meinung, dass Deutschland eine solche Partei brauche, die den Liberalismus, den Atlantizismus und die Globalisierung kritisiere. Während der bevorstehenden turbulenten Zeit werde die AfD ihre Positionen stärken, wenn sie klug genug sei, ihre Chance zu nutzen.

In seinem Exklusivinterview mit RT DE kommentierte der Philosoph auch die Rekordzahl der Stimmen für die Grünen. Den Umweltschutz bezeichnete er dabei als den letzten Zufluchtsort für Politiker, die nichts zu sagen hätten.

"Der absolute Mangel an einer politischen Philosophie wird durch vereinfachte Vorstellungen über die Notwendigkeit des Umweltschutzes ersetzt."

Dugin setzte den Erfolg der Grünen mit Infantilismus, Kurzsichtigkeit und Hysterie in Verbindung. Der Politologe zeigte sich sehr darüber erfreut, dass das Ergebnis der Grünen bescheidener als zuvor prognostiziert ausgefallen war. Wenn sie an die Macht kämen, gäbe es in Deutschland gar keine internationale Politik mehr. Für Russland wäre die Stärkung ihrer Positionen alles andere als positiv. Der Politologe verglich die Handlungsweise der Grünen mit dem Faschismus. Dieser sei in Deutschland kraft seiner maßlosen Bestrebung zur Ordnung und Rationalität letztlich in den nationalistischen Wahnsinn ausgeartet.

"Heute ist es umgekehrt: Die Idee der Freiheit, der Entspannung, der Humanität, der Nächstenliebe sowie die Nachsicht für Laster und Krankheiten führen nun kraft derselben deutschen Maßlosigkeit zum entgegengesetzten Pol."

Da die Grünen unter anderem gegen die Gaspipeline Nord Stream 2 seien, könne man im Fall ihrer Regierung nichts Gutes für das bilaterale Verhältnis mit Russland ahnen. Das Projekt ist Dugin zufolge sowohl für Berlin als auch für Moskau von Vorteil. Die deutsche Industrie brauche russische Bodenschätze, um den Status quo in der Wirtschaft und das Wachstumstempo aufrechtzuerhalten.

Die Beziehungen zwischen Washington und Berlin bezeichnete Dugin als keinen gleichberechtigten Dialog. Die US-Regierung behandele Deutschland wie eine Kolonie, die wirtschaftlich längst selbstständig und unabhängig sei.

"Ebendieser Widerspruch bedingt das amerikanisch-deutsche Verhältnis. Die Deutschen würden einen hohen Preis dafür zahlen, um ihre Souveränität selbst um ein kleines Bisschen zu vergrößern, aber die Amerikaner halten sie, wie einst George Floyd gehalten wurde, sodass er nicht atmen konnte."

Dieser Widerspruch sei alles andere als gesund. Nach dem Zweiten Weltkrieg bestehe die deutsche Ideologie darin, dass das deutsche Volk alles Deutsche hassen solle. Dieses Phänomen nannte Dugin "Selbsthasspolitik". Dieser Widerspruch präge auch das Verhältnis zwischen Berlin und Moskau. Deutschland sei in dieser Situation nur zu bemitleiden, zumal es schon unter einer Art Stockholm-Syndrom leide.