Der Fluch des Westens und die Rettung Russlands

30.01.2023
Im letzten Teil seiner jüngsten Studie zieht der russische Philosoph Aleksandr Dugin enttäuschende Schlussfolgerungen über den Zustand der modernen Gesellschaft im Westen und die Chancen Russlands auf Rettung, die auf einer substanziellen Analyse der menschlichen Natur basieren.

Die Moderne mit den Augen der Tradition

Wenden wir uns nun einem ganz anderen Teil der Anthropologie zu: der Art und Weise, wie die Philosophie und die Wissenschaft des modernen Westens den Menschen, sein Wesen, seine Natur darstellen. Wir gehen fast immer von modernen Vorstellungen aus, die wir für selbstverständlich halten ("Fortschritt ist obligatorisch"), und durch ihr Prisma wenden wir uns anderen, z.B. vormodernen Vorstellungen zu. Mit einem gewissen Maß an Nachsicht.

Wenn dies der Fall wäre, würde jede religiöse Anthropologie, und insbesondere ihr eschatologischer Teil, als naive und willkürliche Verallgemeinerung erscheinen. Aber hier ist die interessante Sache. Wenn wir in die andere Richtung blicken und versuchen, die anthropologischen Theorien der Moderne mit den Augen eines Mannes der Tradition zu beurteilen, eröffnet sich uns ein schockierendes Bild.

Wenn die Geschichte der Prozess der in der Apocalypse erwähnten Aufteilung der Menschheit in Schafe und Böcke ist, d.h. die Verwirklichung durch eine Abfolge von Schritten, die von der Wahlfreiheit der Menschen zugunsten der Kinder des Lichts oder der Kinder der Finsternis ausgehen, dann erscheinen die letzten Jahrhunderte der westeuropäischen Zivilisation, die sich immer mehr von Gott, der Religion, dem Glauben, dem Christentum und der Ewigkeit entfernt, als ein kontinuierlicher und zunehmender Prozess des Abgleitens in den Abgrund, eine massive Verschiebung in Richtung der Denitsa-Seite, ein bewusster und strukturell verifizierter Vektor des direkten Kampfes gegen Gott.

Die europäische Moderne ist der Weg der Böcke, d.h. die zwanghafte Einladung an Gesellschaften und Völker, beim Jüngsten Gericht zu Sündenböcken zu werden. Die westeuropäische Zivilisation der Moderne ist von Anfang an auf der Ablehnung der Religion aufgebaut worden: zunächst durch die Relativierung ihrer Lehren (Deismus) und dann durch einen regelrechten dogmatischen Atheismus.

Der Mensch wird fortan als ein unabhängiges materiell-psychisches Phänomen betrachtet, das Träger der Rationalität ist. Gott erscheint als eine abstrakte Hypothese. In der New-Age-Kultur ist es nicht Gott, der den Menschen erschafft, sondern der Mensch erfindet 'Gott' für sich selbst, auf der naiven Suche nach einer Erklärung für den Ursprung der Welt. Bei diesem Ansatz haben weder spirituelle Welten noch Engel einen Platz in der Existenz, alle Spiritualität wird auf den menschlichen Geist reduziert.

Gleichzeitig werden der Schöpfungsakt selbst und die geschaffene Ewigkeit abgelehnt. Folglich ändert sich die Vorstellung von der Struktur der Zeit und der Geschichte: Das Paradies und das Jüngste Gericht werden als "naive Mythen" dargestellt, die keiner ernsthaften Betrachtung wert sind. Das Auftauchen des Menschen wird als eine Etappe in der Evolution der Tierarten beschrieben und die menschliche Geschichte als ein allmählicher sozialer Fortschritt, der zu immer perfekteren Formen der sozialen Organisation führt, mit einem immer höheren Maß an Komfort und technologischer Entwicklung.

Dieses Welt- und Menschenbild ist uns so vertraut, dass wir selten über seine Ursprünge oder die Annahmen, auf denen es beruht, nachdenken, aber wenn wir uns ihnen dennoch zuwenden, sehen wir, dass es sich um eine radikale Ablehnung der Ontologie der Erlösung handelt, um den Wunsch, dem Menschen kategorisch zu verbieten, sein Wesen im Bereich der eschatologischen Schafe zu schaffen. Das New-Age-Paradigma wendet sich von Gott und dem Himmel ab und wendet sich folglich nach innen.

In der religiösen Topologie ist es eine eindeutige Entscheidung für die Hölle, ein Abgleiten in den Abgrund von Avaddon. In der formell atheistischen und säkularen Weltordnung wird das Bild des gefallenen Engels immer deutlicher. Der Teufel hat die Menschheit in allen Phasen der heiligen Geschichte zu sich gezogen, angefangen vom irdischen Paradies. Aber erst in der Neuzeit gelingt es ihm, die Macht über die Menschheit zu übernehmen und der wahre 'Fürst dieser Welt' und der 'Gott dieses Zeitalters' zu werden.

Die Postmoderne: die Rückkehr des Teufels

Die Verwandlung der Anthropologie in einen offenkundig satanischen Sinn wird besonders in ihren späteren Phasen deutlich, in dem, was gemeinhin als Postmoderne bezeichnet wird. Hier wird der New-Age-Optimismus durch Pessimismus ersetzt und der Humanismus gänzlich verworfen.

Wenn das New Age (die Moderne) gegen Gott, die Religion und das Heilige rebellierte, geht die Postmoderne noch weiter und fordert die Abschaffung des Menschen (Anthropozentrismus), wissenschaftliche Rationalität und die endgültige Zerstörung sozialer Institutionen - Staaten, Familien - bis hin zur Ablehnung der Geschlechter (Gender-Politik) und der Hinwendung zum Transhumanismus (Übertragung der Initiative auf künstliche Intelligenz, Schaffung von Chimären und Cyborgs durch Gentechnik usw.).

Wenn in der Moderne die Bewegung hin zur Zivilisation des Teufels geplant war und sich in der Demontage der traditionellen Gesellschaft ausdrückte, führt die Postmoderne diesen Trend zu seinem logischen Abschluss, indem sie direkt ein Programm zur endgültigen Abschaffung der Menschheit umsetzt.

Dieses Programm, der Triumph des Materialismus, wird in der modernen Richtung der westlichen Philosophie - dem kritischen Realismus oder der objektorientierten Ontologie (OO) - besonders anschaulich dargestellt.

Sie verkündet offen die Demontage der Subjektivität und die Berufung auf das Äußere Absolute (C. Meillas) als ultimative Grundlage der Realität. Darüber hinaus identifizieren viele Philosophen dieser Tendenz die Figur des Äußeren Absoluten direkt mit Satan oder seinen Gegenstücken in anderen Religionen - insbesondere mit dem zoroastrischen Ahriman (siehe hierzu Reza Negarestani).

Moderne und Postmoderne stellen also zusammen eine einzige Tendenz dar, die darauf abzielt, die Menschheit auf den Weg des abgelehnten Opfers, des Sündenbocks, zu bringen und sie im Moment des Jüngsten Gerichts, das verweigert wird, in den Abgrund der unumkehrbaren Verdammnis zu stürzen.

Die Verleugnung der religiösen Anthropologie und ihre eschatologische Apotheose enthalten bereits ein Programm des Sündenbocks, und in dem Maße, wie die säkulare Kultur Wurzeln schlägt, sich entwickelt und explizit wird, insbesondere in der Postmoderne und im Transhumanismus, wird dieses Programm explizit und transparent. Vereinfachend können wir sagen, dass das New Age zunächst die Existenz Gottes und des Teufels verspottet und die Existenz der Vertikalen als Achse der Schöpfung ablehnt, und dann, in der Postmoderne, kehren der Teufel und die untere Hälfte der Vertikalen zurück und geben sich voll zu erkennen.

Es gibt jedoch keinen Gott mehr (Gott ist tot, rief Nietzsche aus, wir haben ihn getötet), der der Menschheit helfen kann. Dieses Argument, das schon früher verworfen wurde, ist in der Postmoderne nach wie vor unumstritten. Es gibt nur den Teufel, der die Menschheit auf den breiten Pfad der Verdammnis führt, der zynischerweise (Satan scherzt gerne) 'Fortschritt' genannt wird.

Das Armageddon unserer Herzen

Wenn wir nun diese beiden Perspektiven, die eschatologische Anthropologie und das Menschenbild der Moderne und insbesondere der Postmoderne, miteinander verbinden, ergibt sich ein recht umfangreiches Bild. Es wird deutlich werden, dass wir uns in der letzten Phase der Endzeit befinden, in unmittelbarer Nähe des Augenblicks des Jüngsten Gerichts. An dieser Aussage ist nichts Willkürliches oder Spekulatives. Auf der vertikalen Ebene der Welt befindet sich die Menschheit zu jedem Zeitpunkt ihrer Geschichte in dieser Position: Das Jüngste Gericht und die Auferstehung der Toten sind immer in der Nähe Gottes und in jedem Moment und an jedem Ort des Lebens präsent.

Im Großen und Ganzen jedoch, was die Menschheit betrifft, findet dieses Ereignis ein für alle Mal statt: wenn sich die beiden Dimensionen, die vertikale und die horizontale, auf die vollständigste und unverfälschteste Weise treffen. Wenn es beim großen Gericht viele Menschen geben wird, die darauf überhaupt nicht vorbereitet sind, die sogar mit der Vorstellung aufgewachsen sind, dass so etwas nicht passieren kann, weil es nur Materie und ihre Derivate gibt, dann könnten sie sich unter denen wiederfinden, die in den Abgrund geschickt werden.

Vor allem diejenigen, die, indem sie der Hypnose des Fortschritts erliegen, den Weg der Entmenschlichung so weit beschreiten, dass sie den Kontakt zu ihrer eigenen menschlichen Natur völlig verlieren und damit auch die Möglichkeit, sich für das Gute zu entscheiden, was im Umgang mit Menschen immer möglich ist - so schwierig diese Entscheidung unter bestimmten Umständen auch sein mag. Aber wenn das transhumanistische Projekt vollständig verwirklicht ist und die Menschheit unwiderruflich in die Zone der Posthumanität übergegangen ist (was moderne Zukunftsforscher den Moment der Singularität nennen), wird die Trennung von ihrer Natur, ihrem Frieden und ihrer Geschichte ein Ende haben, da ein Zeuge aus dem Zentrum der Realität entfernt wird.

Es wird kein Vakuum sein, sondern die Darstellung der ewigen Schöpfung und der engelhaften Vertikalen in ihrer Gesamtheit: es wird die Zeit der Wiederkunft, der Auferstehung der Toten und des Jüngsten Gerichts sein. Bis diese Zeit gekommen ist, nimmt die Teilung der Menschheit in Schafe und Böcke einen besonders intensiven dramatischen Ausdruck an. Immer mehr Menschen werden zu "Kindern der Finsternis" und wenden sich vom Glauben an das wahre Licht Gottes ab. Ihnen gegenüber stehen die "Kinder des Lichts", die trotz allem Gott, dem Erlöser und der Vertikalen treu bleiben.

Beide, bewusst oder unbewusst, obwohl die Figur des Engels längst aus dem ganzheitlichen Bild der Welt verschwunden ist, befinden sich ganz in der Nähe der engelhaften Pole, die von der Ewigkeit und dem Ende der Welt so weit wie möglich entfernt sind. Für Böcke bedeutet dies, dass sie buchstäblich vom Teufel besessen werden, sich in sein hilfloses Werkzeug verwandeln und jegliche Autonomie verlieren.

Das ist es, was es bedeutet, 'Kinder der Finsternis' zu werden, Sündenböcke, ein von Gott abgelehntes Opfer. Aber es ist auch äußerst schwierig, in einer solchen Extremsituation dem Himmel und dem Licht treu zu bleiben, und diese verzweifelte Lage der 'kleinen Herde' braucht die besondere Unterstützung und den Schutz Gottes und der ihm geweihten Engel. An einem bestimmten Punkt fällt der Kampf der ewig gerechten Engel mit dem letzten Krieg der Menschheit zusammen, in dem die 'Kinder des Lichts' unmittelbar vor dem Jüngsten Gericht mit den 'Kindern der Finsternis' aufeinandertreffen. Das ist genau das, was die Bibel als Schlacht von Armaggedon beschreibt. Es ist unmöglich, sie mit rein irdischen, rationalen Begriffen zu beschreiben, denn sie umfasst die letzten Bände theologischer, metaphysischer und ontologischer Inhalte.

WO (wahre Ontologie, wahrheitsorientierte Ontologie) hat die direkteste Beziehung zur eschatologischen Anthropologie. Niemand kennt den genauen Zeitpunkt, nicht zuletzt, weil es sich nicht um ein Ereignis in der Zeit handelt, sondern um jenen schwer vorstellbaren Zustand der Welt, in dem die Zeit direkt mit der Ewigkeit kollidiert und die Ewigkeit folglich aufhört, die Zeit zu sein, die sie vorher war. Hier beginnt ein 'zukünftiges Zeitalter', das sich der Vertikalen der Existenz stellt. All dies ist bereits geschehen und geschieht jetzt, wird aber im Laufe der Offenbarung, was im Griechischen "Enthüllung", "Entdeckung" bedeutet, vollständig enthüllt werden.

Das Verborgene wird manifest. So wird das Geheimnis der menschlichen Dualität gelöst, und jeder Mensch wird zu einem direkten Teilnehmer daran - denn die Frontlinie verläuft nicht nur durch die irdische Geografie, sondern direkt durch unsere Herzen.

Übersetzung von Robert Steuckers