Zurück im Kalten Krieg und im atomaren Wettrüsten

23.03.2016

Washington will für Hunderte von Milliarden US-Dollar die Atomwaffen - auch in Deutschland - "modernisieren", Russland erklärt, "angemessen" darauf zu reagieren

Nordkorea droht immer wieder mit seinen Atombomben. Um deren Existenz zu demonstrieren, werden auch die unterirdischen Atomwaffentests durchgeführt. Ob das Land tatsächlich über einsatzfähige Atomwaffen verfügt, ist umstritten, es hält seine Abschreckung jedenfalls auch mit Raketentests aufrecht. Angenommen wird, dass Nordkorea über einige Sprengköpfe mit Plutonium und mit angereichertem Uran verfügen könnte. Behauptet hat Nordkorea, im Januar eine Wasserstoffbombe getestet zu haben.

Aber es geht nicht allein um Nordkorea, wenn nach dem Ende des Kalten Kriegs trotz einiger Abrüstungsbemühungen die atomare Rüstung weiter als zentraler Garant der Abschreckung gilt, unter dessen Deckung auch Interventionen ausgeführt werden können, wie die USA und Russland demonstrieren. Mit der Verstärkung des Konflikts und des Rüstungswettlaufs vor allem zwischen Russland und den USA, auch China mischt zur Besorgnis der USA immer stärker mit, wird weiterhin kräftig in Atomwaffen investiert. Von der Ankündigung, eine atomwaffenfreie Welt anzustreben, mit der US-Präsident Obama angetreten ist und auch deswegen den Friedensnobelpreis erhielt, ist nichts umgesetzt worden, ganz im Gegenteil.

Nach dem Ukraine-Konflikt wird die Gelegenheit in den USA genutzt, auch die nukleare Abschreckung wieder gegen die "russische Aggressivität" hochzufahren. Zudem hält man auch strategisch daran fest, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Krieg gegen einen hochgerüsteten Feind führen zu müssen, hoch sei. Dabei ist, wie US-Verteidigungsminister Carter Ende des letzten Jahres ausgeführt hat, Russland die Hauptbedrohung der USA. Mit der Modernisierung der Atomwaffen rüste man sich gegen "die russische Aggression".

Nato-Kommandeur Philip M. Breedlove hatte erst Ende Februar wieder erklärt, Russland stelle mit seiner "Aggression" ein ernsthaftes Problem dar und habe sich entschieden, ein Gegner der USA und der Nato zu sein. Daher bereite man sich auf einen Krieg mit allen Mitteln vor, u.a. durch die Vervierfachung der Gelder für die European Reassurance Initiative, also die Stationierung von US-Truppen in der EU und gemeinsamen Training der Truppen. Russland wolle wieder eine führende Rolle auf der Weltbühne einnehmen, habe nur dem Assad-Regime in Syrien geholfen, aber nicht den IS bekämpft und die Flüchtlinge zu Waffen gemacht.

Anfang März stellte Robert Scher, Staatssekretär im Pentagon für Strategie, noch einmal klar, dass es eine "Wiederkehr des großen Machtwettkamps" gebe, die USA stehe "Feinden mit Atomwaffen" gegenüber. Der primäre Feind ist neben China wiederum Russland, das "aggressiv" in der Ukraine und auf der Krim gewesen sei und ein "Muster an rücksichtsloser nuklearer Aufrüstung" gezeigt habe. Zwar würde der US-Präsident eine atomwaffenfreie Welt anstreben, aber er habe auch klar gemacht, dass die USA eine effektive nukleare Abschreckung bräuchten, so lange es noch Atomwaffen gebe. Selbstverständlich betreibt aus Sicht des Pentagon Russland eine Strategie der Eskalation, auf die man mit der "Modernisierung" der "Plattformen, Trägersysteme und Sprengköpfe" reagiere. Das soll nach der Logik des Pentagon für "strategische Stabilität" sorgen und ein Wettrüsten verhindern.

Die USA haben zuletzt im Februar gezeigt, wie wichtig die Demonstration der nuklearen Abschreckung ist und im Februar schon zwei Langstreckenraketen des Typs LGM-30G Minuteman III zum Test abgefeuert. Russland will seinerseits zum Test nach Medienberichten bis zu 16 Interkontinentalraketen von U-Booten abfeuern. Letztes Jahr wurden bereits 8 getestet.

Sowohl Russland als auch die USA haben wieder mit der nuklearen Aufrüstung begonnen, gerne "Modernisierung" genannt. Beide werfen sich gegenseitig "nukleares Säbelrasseln" und das Unterminieren der strategischen Stabilität, also des Gleichgewicht des Schreckens vor. Russland ist bekanntlich seit den Plänen, in Europa nahe der russischen Grenze das US-Raketenabwehrschild zu installieren, aufgeschreckt und hat angeblich Topol-Raketen mit mehreren Sprengköpfen entwickelt, die imstande sein sollen, das System auszutricksen. Ähnlich wie die USA ist freilich nicht von Aufrüstung die Rede, man müsse nur bislang Versäumtes nachholen und eben modernisieren.

Die USA sind bemüht, möglichst viele Alliierte von der Nato über Südkorea bis Japan unter den eigenen Raketenabwehrschild zu bringen, um diese damit vor Angriffen zu schützen, aber auch abhängig von den USA zu machen (In Rumänien wurde der erste Stützpunkt des US-Raketenabwehrschilds eröffnet). Russland und auch China fürchten, dass das weiterhin herrschende Gleichgewicht des Schreckens mit dem Raketenabwehrschild, sofern dies wirklich funktionieren und auch in der Lage sein sollte, neue Raketentypen abzuschießen, zu ihren Ungunsten kippen könnte.

Der Politikwissenschaftler Karl-Heinz Kamp, der erst im September des letzten Jahres zum Präsidenten der "Bundesakademie für Sicherheitspolitik" (BAKS) ernannt wurde, hat in Defense News schon mal seine Übereinstimmung mit dem Pentagon zum Ausdruck gebracht. Er fordert in seinem Kommentar, dass die Nato auf ihrem Gipfel in Warschau, nachdem Russland die Partnerschaft mit der Nato beendet habe, obgleich es ja genau umgekehrt war, das Thema der "nuklearen Abschreckung" neu diskutieren müsse. Die Nato müsse das "nukleare Kapitel" neu eröffnen, "um die Notwendigkeiten der nuklearen Abschreckung neu zu bewerten". Russland sehe Atomwaffen als "integralen Bestandteil" seiner Militärmacht und als Kompensation seiner gegenüber der Nato geringeren konventionellen Streitkräfte. Eine weitere Abrüstungsrunde sei daher "keine Option mehr", verkündet der deutsche Stratege, der damit für eine weitere Runde im nuklearen Aufrüsten eintritt.

Für die nächsten 10 Jahre will das Pentagon 350 Milliarden US-Dollar in neue Atomwaffen investieren

Die US-Regierung erwägt, die atomare Abschreckung - Sprengköpfe und Flugzeuge, U-Boote sowie Raketen und Atomanlagen zur Herstellung von waffenfähigem Uran - zu "modernisieren", indem über die nächsten 30 Jahre bis zu einer Billion US-Dollar investiert werden. Das Pentagon geht davon aus, dass die Modernisierung jährlich 18 Milliarden US-Dollar zwischen 2021 und 2035 kosten wird. Für die nächsten 10 Jahre wünscht sich das Pentagon 350 Milliarden US-Dollar.

Während man vor dem Ukraine-Konflikt die "Modernisierung" damit begründet hatte, dass es aufgrund der alternden Technik lediglich um den Erhalt der nuklearen Abschreckung gehe, wird seitdem die russische Bedrohung als primärer Grund favorisiert. Gleichzeitig nimmt man Abschied von asymmetrischen Kriegen und dem Krieg gegen den Terror und suggeriert, dass Kriege zwischen Staaten wieder wahrscheinlicher werden.

Experten betrachten die teuren Modernisierungspläne, mit denen auch Abschied von einer weiteren Reduzierung der Atomsprengköpfe nach dem neuen START-Abkommen genommen werden soll, als Fantasie. Man überlässt das Problem der Nachfolgerregierung, die Modernisierung könne nur auf Kosten von anderen Teilen der Streitkräfte durchgeführt werden. Im Haushaltsjahr 2017 sind 3,2 Milliarden US-Dollar für die Modernisierung vorgesehen.

Die für die Sprengköpfe zuständige NNSA will 12,9 Milliarden für das Haushaltsjahr, 357 Millionen mehr als 2016. Mehr als 9 Milliarden werden für die Modernisierung und die Wartung der Sprengköpfe veranschlagt. Beabsichtigt ist, mit der Modernisierung die Atomwaffen kleiner und genauer zu machen, was Kritiker warnen lässt, dass damit deren Einsatz wahrscheinlicher würde. Der Plan, taktische Atomwaffen zu entwickeln, entstand unter der Bush-Regierung (Das Pentagon will neuartige taktische Atombomben).

Abgesehen von Nordkorea werden zwar aufgrund des bislang von den Unterzeichnern des Kernwaffenteststoppvertrags keine Atomwaffentests mehr ausgeführt. Auch die Staaten wie China und die USA, die im Gegensatz zu Russland das Abkommen nicht ratifiziert haben, hielten sich daran. Die Atommächte Indien, Pakistan und Nordkorea haben noch nicht einmal unterschrieben. Während China "nur" um die 300 Sprengköpfe haben soll, verfügt Russland über 1.582 einsatzbereite Sprengköpfe und die USA über 1,597. Beide Länder haben jeweils noch mehr als 4000 atomare Sprengköpfe gelagert.

Auch die in der EU und der Türkei stationierten Atombomben sollen "modernisiert" werden

Im Zuge der Modernisierung will das Pentagon auch die in Europa befindlichen B61-Atombomben "modernisieren". Um die 200-350 werden auf sechs Luftwaffenstützpunkten gelagert. Die B61-Atombomben im türkischen Incirlik und im italienischen Aviano würden von US-Flugzeugen verwendet, die Atombomben in Volkel, Niederlande, Kleine Brogel, Belgien, und Büchel, Deutschland, werden im Zuge der "nuklearen Teilhabe" von der jeweiligen Luftwaffe geflogen, also etwa von Tornados der deutschen Bundeswehr. In Büchel lagern 10-20 US-Atombomben, die nun durch die taktischen B61-12 ausgetauscht werden sollen, die mit Sprengköpfen mit der Explosivkraft von 0,3, 1,5, 10 und 50 kt ausgestattet werden können. Grüne und Linke lehnen die "Modernisierung" ab, die große Koalition spricht sich dafür aus, will das Thema aber aus offensichtlichen Gründen klein hängen.

Nach Tests im vergangenen Jahr kann die B61-12 tief in den Boden eindringen und ist daher zur Zerstörung von geschützten und tiefgelegenen Zielen geeignet. Überdies sind die neuen Atombomben zielgenauer und können von fast allen Flugzeugen abgeworfen werden. Dabei handelt es sich nicht um eine Modernisierung, sondern um neue Atomwaffen, so etwa die FAS. Mit der höheren Zielgenauigkeit, einer geringeren Ladung und einer Sprengung einige Meter unter dem Boden würde bei einem Einsatz weniger Radioaktivität freigesetzt und ein geringerer Schaden auf der Oberfläche verursacht. Das könnte die Schwelle zum Einsatz solcher dann taktischer Atomwaffen senken und damit die Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs erhöhen.

Russland sieht die "Modernisierung" der US-Atomwaffen, besonders in Europa, selbstverständlich nicht als Beitrag zur "strategischen Stabilität", sondern ganz im Gegenteil. In Russland spricht man noch nicht von der amerikanischen oder Nato-Aggressivität, aber man gibt sich ebenso wie die USA, dass man auf die Rüstung reagieren müsse. Daher heißt es aus dem russischen Verteidigungsministerium, Russland werde "angemessen" auf die Modernisierungspläne von Washington reagieren.

Telepolis (21.3.2016)