US-Republikaner: Auf dem Weg in die Selbstkannibalisierung
In Wisconsin besiegt Ted Cruz erneut Frontrunner Donald Trump [Bild links]. Bei einer Kampfabstimmung droht die Spaltung. Auch die Demokraten sind unglücklich: Sanders siegt erneut gegen Favoritin Clinton [Bild rechts].
Die Primaries in Wisconsin haben am Dienstagabend beide Parteilager in den USA massiv durcheinandergewirbelt. Ted Cruz eint vorübergehend jene Konservativen, die ihn prinzipiell verehren, und das republikanische Parteiestablishment, das ihn als Helden des Augenblicks nutzen will, um Donald Trump doch noch zu stoppen.
Und Bernie Sanders reanimiert mit seinem sechsten Sieg in Folge die Heilserwartung jener Demokraten, die auf radikalere Reformen setzen, welche Hillary Clinton bereit ist, zu versprechen.
Der klare Sieg des texanischen Senators Cruz (48 Prozent nach Auszählung von 95 Prozent der Stimmen) senkt die Chancen für den New Yorker Milliardär Trump (35 Prozent) massiv, mit einer absoluten Mehrheit von 1237 Delegierten im Juli zum Wahlparteitag in Cleveland anzureisen.
Zugleich erhöht der Zweikampf zwischen Trump und Cruz die Gefahr einer förmlichen Spaltung der Republikaner. Der dritte Bewerber um die Präsidentschaftsnominierung, Ohios Gouverneur John Kasich, blieb in Wisconsin mit 14 Prozent erneut chancenlos.
Alarmierend für die Parteiführung: 37 Prozent der Primary-Wähler würden im Fall einer Nominierung von Trump nach eigenen Angaben an der Präsidentschaftswahl gar nicht teilnehmen, den Kandidaten einer dritten Partei oder gar Hillary Clinton wählen. Sie würden sich also der Parteidisziplin verweigern.
Andererseits kommt Trump aber in dem von RealClearPolitics ermittelten Durchschnitt der US-weiten Umfragen unter Republikaner-Wählern auf eine Anhängerschaft von knapp über 40 Prozent. Trump hatte unlängst gewarnt, sollte ihm die National Convention im Juli die Nominierung verweigern, gäbe es einen "Aufstand" seiner Anhängerschaft.
Das macht Überlegungen in republikanischen Hinterzimmern, einen ohne absolute Delegiertenmehrheit anreisenden Trump per Kampfabstimmung zu schlagen, zu einem unkalkulierbaren Risiko.
Zwar ließe sich wohl vorab feststellen, ob ein eventueller Gegenkandidat wie Mitt Romney, der unterlegene Präsidentschaftskandidat des Jahres 2012, oder Paul Ryan, der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, bei einer solchen "brokered Convention" Aussichten auf eine Mehrheit hätte. Aber hinter Trump stünde gleichwohl eine entschlossene und geschlossene Minderheit, die stark genug wäre, ihren Helden als unabhängigen Kandidaten in die Generalwahl am 8. November zu schicken.
Realistische Chancen, die vermutliche Kandidatin Clinton zu schlagen, hätten die Republikaner nicht, wenn sie geteilt antreten würden: Die "Mehrheitsrepublikaner" mit einem offiziellen Kandidaten, der seinen eigentlichen Wahlkampf erst im Juli beginnen könnte, und "unabhängige Republikaner" mit einem von 30 bis 40 Prozent der Basis unterstützten Trump.
Der GOP droht damit eine Selbstkannibalisierung. Denn auch den erzkonservativen Cruz, der im Senat eine unversöhnliche Blockadepolitik zu seinem Markenzeichen gemacht hat und für Wechselwähler in der Mitte kaum akzeptabel wäre, will die Parteiführung nicht unterstützen.
Cruz punktet bei Trumps Kernzielgruppe
Gleichwohl war Cruz, der bereits neun Staaten geholt und vor anderthalb Wochen auch in Utah gewonnen hat, in Wisconsin ausgesprochen erfolgreich. Der in Kanada geborene Texaner mit kubanischen Wurzeln gewann mindestens 33 Delegierte hinzu. 18 gab es für den Gesamtsieg und je drei für jeden gewonnenen Kongressdistrikt.
Von den acht Distrikten gingen mindestens fünf an Cruz und einer an Trump; zwei weitere waren zunächst nicht ausgezählt. Cruz (502 Delegierte) liegt jedoch weiterhin deutlich hinter Trump (739 Delegierte), während Kasich völlig abgeschlagen ist (143 Delegierte).
Cruz siegte nicht nur klar bei den Evangelikalen, sondern auch bei Männern mit geringerem Bildungsabschluss. Dieses Klientel gilt grundsätzlich als Kernzielgruppe für Trump, der bislang 20 Vorwahlen gewann.
Der euphorische Cruz erwähnte darum bei seiner Siegesrede vor Anhängern in Milwaukee Trump gar nicht mehr. Stattdessen widmete er sich Clinton ("Hillary, mach dich bereit, wir kommen!") und nahm seine Frau Heidi nahezu programmatisch in die Arme, nachdem er ins Publikum gefragt hatte: "Ich mag ja voreingenommen sein, aber würde sie nicht eine wunderbare First Lady geben?"
Trump hat hingegen seine Attacken gegen Cruz variiert. Nannte er ihn in der Vergangenheit gern den "verlogenen Ted", bezeichnet er den Senator aktuell als "trojanisches Pferd" der Parteiführung, dessen Widerstand gegen das Establishment nur vorgetäuscht sei.
Laut den Umfragen zur nächsten Primary, die am 19. April in New York stattfinden soll, darf Trump in seinem Heimatstaat auf einen klaren Sieg hoffen. Auf den zweiten Platz könnte dort gar Kasich kommen, was Cruz auf den bronzenen Verliererrang drücken würde.
Unerfreulich verlief der Dienstag aber auch für das Establishment der Demokraten. Mit 56 zu 43 Prozent (nach Auszählung von 97 Prozent der Stimmen) fiel der Sieg von Sanders über Clinton nahezu krachend aus. Die ursprüngliche Erfolgsserie der Favoritin scheint in eine Sackgasse geraten zu sein. Sanders hatte zuvor bereits in Folge die Wahlen in Idaho, Utah, Alaska, Hawaii und Washington State gewonnen.
Sanders sagte denn auch bei einem Auftritt in Wyoming, wo am Samstag die Demokraten ihren Caucus veranstalten: "Ich denke, die Menschen in diesem Land sind bereit zu einer politischen Revolution. Und wenn sie das ignorieren, was die Medienkonzerne behaupten, sind die Fakten ziemlich klar: Wir haben vor uns einen Weg zum Sieg, einen Weg ins Weiße Haus."
Allerdings sprachen einige Spezifika Wisconsins von vorneherein für Sanders. So veranstalten die Demokraten dieses Bundesstaates traditionell eine "offene Wahl", an der nicht nur registrierte Wähler der Partei, sondern auch sich selbst als "Unabhängige" (Independents) einstufende Bürger teilnehmen dürfen. Sanders, der trotz seiner Bewerbung um die Nominierung durch die Demokraten formal selbst ein Unabhängiger ist, schneidet in dieser Wählergruppe traditionell besser ab als Clinton.
Aber in Wisconsin lag Sanders sogar bei den weiblichen Wählern mit 50 zu 49 Prozent knapp vor Clinton. Eigentlich sind (vor allem ältere) Frauen eine zentrale Zielgruppe der Ex-Außenministerin. Bei den Jungwählern dominierte der Senator aus Vermont ohnehin.
Ein weiterer Punkt, der Sanders Sieg begünstigte: Wisconsin hat eine weitgehend weiße Bevölkerung, die dem selbst erklärten "demokratischen Sozialisten" besonders zugetan ist. Nennenswerte schwarze und hispanische Gruppen gibt es nur in der Metropole Milwaukee. Clinton ist vor allem dort erfolgreich, wo die Minderheiten stark vertreten sind.
Das gilt unter anderem für den wichtigen Bundesstaat New York, wo am 19. April Primaries stattfinden. Clinton, die nach ihrer Zeit als First Lady für New York im US-Senat saß, führt dort in den Umfragen deutlich.
Dass Clinton noch von Sanders überholt wird, bleibt darum auch nach Wisconsin unwahrscheinlich. Bei der Zahl der "normalen", durch die bisherigen Primaries und Caucuses gesammelten Wahlleuten führt sie mit 1274 zu 1025 nicht allzu hoch. Aber Clinton kann sich zudem der Unterstützung durch 469 Superdelegierte sicher sein; dabei handelt es sich um Parteihierarchen, die ihr Votum frei vergeben können. Sanders kommt nur auf 31 Superdelegierte. Insgesamt liegt Clinton darum mit 1743 zu 1056 Delegierten vorne. Zur absoluten Mehrheit benötigt sie 2382 Wahlleute.
Ansgar Graw, Welt online (6.4.2016)