Rechtsoppositionelle Parteien: Die EU ist nicht sozial genug
Die EU bietet die perfekte Angriffsfläche für Rechtspopulisten. Sie ist ein liberaler Markt - der Sozialstaat dagegen gerät unter Druck. Ein Kommentar.
VON FABIAN LEBER
Vielleicht ist die Europäische Union ein großes Missverständnis. Die einen sehen in ihr einen Staatenbund, die anderen einen Bundesstaat. Vor allem aber ist die EU ein Markt. Der Euro mag wanken, Schengen in Gefahr sein – eines jedoch funktioniert bis heute: der freie Austausch von Waren und Geld.
Es war der spätere Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August Hayek, der schon 1939 in einem Essay eine Entwicklung klar voraussah: dass eine enge wirtschaftliche Integration zu mehr ökonomischer Liberalisierung führen wird. Er schrieb: „In einer Förderation können bestimmte wirtschaftliche Eingriffe weder von der Förderation noch von den Nationalstaaten wahrgenommen werden. Das heißt, dass es insgesamt weniger Staat geben wird.“ Dem Wirtschaftsliberalen Hayek kam das gelegen. Die europäische Zusammenarbeit, die nach dem Krieg folgen sollte, sagte er damals ziemlich klar voraus.
Nicht umsonst hieß die EU zunächst Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Zollschranken und Handelsbarrieren wurden abgebaut. Damit der Markt funktionierte, wurde viel harmonisiert. Das sah nach neuer Regulierung aus. In Wirklichkeit aber wurde viel dereguliert. Hinzu kam die Rolle des Europäischen Gerichtshofs. Weil er strikt gegen angebliche Wettbewerbsverzerrungen urteilte, ging die Integration nicht zuletzt auf Kosten der sozialen Absicherung von Arbeitnehmern. Hinzu kommt: Für eine Politik der Umverteilung fehlt der EU bis heute ein demokratisches Mandat. Die Konflikte um Griechenland haben das nur erneut bestätigt.
Die Sozialstaat gerät unter Druck
Am stärksten unter Druck gerieten durch die Europäisierung (und vorgelagert durch die Globalisierung) die traditionellen europäischen Sozialstaaten, allen voran Länder wie Frankreich, aber auch Österreich oder Deutschland. Interessanterweise blieben Länder mit skandinavischer „Volksheim“-Tradition wie Schweden oder Dänemark bei Dingen wie dem Euro gleich ganz außen vor – oder verzichten wie Norwegen von vorneherein auf einen EU-Beitritt.
Es ist eine von vielen möglichen Erklärungen für den Abstieg der europäischen Sozialdemokratie, dass sie am wirtschaftsliberalen Charakter der EU zwar kräftig mitgewerkelt hat, gleichzeitig aber die Gefahr, die für den Sozialstaat davon ausging, nicht erkannte. Auch weil die europäische Integration stets als Überwindung des Nationalstaats gefeiert wurde und die ökonomischen Folgen ausgeblendet wurden. Es ist jedenfalls eine fromme Hoffnung, den Sozialstaat auf die europäische Ebene übertragen zu können – so wie das mit dem Binnenmarkt klappte. Der Vorschlag, eine EU-Arbeitslosenversicherung zu gründen, findet selbst in der SPD keine Unterstützer – profitierten deutsche Facharbeiter doch nicht davon.
Die FPÖ als "soziale Heimatpartei"
Nach wie vor richten sich die Erwartungen deshalb an den Nationalstaat. Von hier aus ist der Schritt nicht mehr weit zu den Rechtspopulisten in ganz Europa, die in den vergangenen Jahren eine bemerkenswerte wirtschaftspolitische Wende vollzogen haben. Sah sich Jean-Marie Le Pen vom französischen Front National (FN) in den 80er Jahren noch als eine Art französischer Ronald Reagan, überholt seine Tochter Marine die französischen Sozialisten inzwischen mit links. Der FN will die EU-Verträge neu verhandeln, um dem „Dogma der freien Konkurrenz“ den Garaus zu machen. Die „Neue Zürcher Zeitung“ beschrieb das FN-Konzept kürzlich als „national-sozialistisch“.
Das passt zur Entwicklung, die die FPÖ in Österreich genommen hat. Ihr Chef Heinz-Christian Strache will sie als „soziale Heimatpartei“ positionieren. Er weiß, warum. Unter Arbeitern ist die FPÖ mit weitem Abstand die erfolgreichste Partei. Der Antiamerikanismus rechtspopulistischer Parteien hat viel mit Antikapitalismus zu tun.
Wie der FN wurde die AfD in Deutschland ebenfalls überdurchschnittlich stark von sozial Schwachen gewählt. Auch in Baden- Württemberg, wo sie den bisher stets von der SPD gehaltenen Arbeiterwahlkreis Mannheim-Nord gewann, gleichzeitig aber mit dem VWL-Professor Jörg Meuthen einen Wirtschaftsliberalen an der Spitze hatte, der auch in der FDP sein könnte. „Wir glauben an die Kraft des Wettbewerbs und dass der letztlich für alle am besten ist“, heißt es im Programmentwurf der Partei. Das wirkt wie ein Widerspruch. Doch weil es um Populisten geht, wird sich auch die AfD ihren Wählern anpassen.
Man kann die Rechtspopulisten als nationalistisch verteufeln. Wenn man ihre linke Wurzel nicht begreift, kann man sie aber nicht verstehen.
Tagesspiegel (18.3.2016)