Neues Kräftemessen in der Arktis: US-Flottenverband läuft in die Barentssee ein

11.05.2020

Ein brisantes Manöver: vier US-Kriegsschiffe mit mehr als 30.000 Tonnen Wasserverdrängung und hunderten Marschflugkörpern an Bord zeigten jetzt in der Barentssee Präsenz. Vergleichbare Aktionen gab es seit dem Kalten Krieg nicht mehr.

Die offizielle Version aus dem Pressestab der 6. US-Flotte spricht von einem Manöver im Rahmen der allgemeinen Sicherheitsroutine. Die Zerstörer und eine Fregatte kreuzten demnach in der Barentssee, um „die Sicherheit bei schwierigen Wetterverhältnissen und die Aufrechterhaltung des freien Verkehrs und ununterbrochenen Zusammenwirkens zwischen den Verbündeten zu gewährleisten“. Das Pentagon teilte überdies mit, daß Moskau über die Route der Schiffe im voraus benachrichtigt worden sei. Das russische Verteidigungsministerium betonte seinerseits, daß die Nordflotte den Besuch der ausländischen Kriegsschiffe nicht unberücksichtigt lassen werde. „Kräfte und Mittel der Nordflotte begannen mit der Verfolgung der Handlungen der Nato-Angriffsgruppierung aus den Lenkraketenzerstörern Porter, Donald Cook, Franklin Roosevelt der US-Marine und der britischen Fregatte Kent“, heißt es in einer Mitteilung des Nationalen Zentrums für die Steuerung der Verteidigung.

Seit dem Kalten Krieg waren US-Kriegsschiffe in der Barentssee nicht mehr präsent. Tatsächlich spricht das Auftauchen des US-Flottenverbandes in der geostrategisch sensiblen Barentssee für einen Kurswechsel des Pentagons. In den letzten zwanzig Jahren galt die russische Flotte nicht mehr als ebenbürtiger Gegner für die NATO. Doch seit einigen Jahren macht Washington wieder einen verstärkten Bedarf an Mitteln geltend, um auch an den maritimen Flanken des russischen Riesenreiches wieder verstärkt Präsenz zeigen zu können. Manöver- und Ernstfallplanungen sehen dabei auch das Einlaufen einer Angriffsgruppierung in die Barentssee vor, wissen Experten.

Fachleute bewerten das Manöver der amerikanischen Kampfgruppe denn auch unter dem Aspekt neuer geostrategischer Prämissen der westlichen Militärplaner: die NATO will ihre Präsenz in der Arktis-Region ausbauen, wo Rußland längst als neuer Konkurrent ausgemacht ist. Ende Januar erklärte der Sonderbotschafter des russischen Außenministeriums, Nikolai Kortschunow, dazu: „Wir sind über das Wachstum der Aktivitäten der NATO in der Arktis beunruhigt. Wir sagen das offen und ehrlich den Partnern und der Weltöffentlichkeit. Uns beunruhigt besonders der Anstieg der Aktivitäten der Nicht-Arktis-Anrainer und NATO-Mitgliedstaaten in der Arktis. Wir denken, daß dies zu Spannungen führt und die Aufrechterhaltung der Region als Gebiet des Friedens, der Stabilität und des konstruktiven Zusammenwirkens untergräbt.“

US-Vertreter sprachen bereits in der Vergangenheit es öfteren über Pläne, die Region für „die internationale Nutzung“ freizusetzen. 2019 veröffentlichte das US-Kommando eine „Arktis-Doktrin“, die unter anderem die Sperrung der Nordostpassage durch Kampfschiffe vorsieht. Angesichts dessen sah sich das russische Militär veranlaßt, die eigene Präsenz zu erhöhen.

Ende Februar kündigte der russische Verteidigungsminister Schoigu an, eine weitere Flugabwehrdivision in der Arktis aufzustellen. Die Nordostpassage könne dadurch sicher geschützt werden. Darüber hinaus spielt die russische Marine jedes Jahr zusammen mit den übrigen Teilstreitkräften die „Verteidigung der wichtigen Industrieobjekte und den Schutz der Wirtschaftsinteressen Rußlands in der Arktis-Zone“ durch.

„Wir haben dort ein sicheres Fundament für die Schaffung der Militärinfrastruktur gelegt. Auf den arktischen Inseln wurden Anlagen mit Verwaltungs- und Wohngebäuden errichtet, die keine Analoga in der Welt haben, wo Militärs ihrem Dienst und Bereitschaftsdienst auf Rotationsbasis nachgehen“, teilte Schoigu mit.